Oberlandesgericht Hamm beurteilt Giffits-Abmahnwelle als rechtsmissbräuchlich

Am 22. September 2022 hat das Oberlandesgericht Hamm in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen der WER GmbH und der Giffits GmbH verhandelt (Aktenzeichen I-4 U 32/22). Gegenstand des Verfahrens war eine von der Giffits GmbH ausgesprochene Abmahnung, die Teil einer Abmahnwelle mit über 50 Abmahnungen war. Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm erachtete das Vorgehen der Giffits GmbH als rechtmissbräuchlich und die von der Giffits GmbH eingeklagten Ansprüche daher für nicht gegeben.

Nach dem Landgericht Osnabrück, dem Oberlandesgericht Oldenburg,  dem Landgericht München und dem Oberlandesgericht München beurteilte nun auch das Oberlandesgericht Hamm die Giffits-Abmahnwelle als rechtsmissbräuchlich. Die Klage der Giffits GmbH wurde abgewiesen.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Die Giffits GmbH mahnte seit Anfang Dezember 2020 eine Vielzahl von Online-Händlern ab. Gegenstand der gleichlautenden Abmahnschreiben war, dass die Online-Händler Bio-Produkte im ihrem Sortiment führten, ohne eine eigene Zertifizierung nach der Öko-VO (EG-Verordnung 834/2007) zu haben. Auch die WER GmbH hatte am 4. Januar 2021 eine solche Abmahnung erhalten. Die Giffits GmbH forderte, eine Unterlassungserklärung mit einem Vertragsstrafeversprechen in Höhe von 7.500 Euro „unter Ausschluss der Handlungseinheit“. Für das Abmahnschreiben setzte die Giffits GmbH einen Gegenstandswert von 75.000 Euro an. Die WER GmbH sah darin einen Verstoß gegen § 8c UWG (Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb) der folgenden Wortlaut hat:

  • 8c UWG Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen; Haftung

(1) Die Geltendmachung der Ansprüche aus § 8 Absatz 1 ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist.

(2) Eine missbräuchliche Geltendmachung ist im Zweifel anzunehmen, wenn

  1. die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen,
  2. ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt,
  3. ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt,
  4. offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden,
  5. eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht,
  6. mehrere Zuwiderhandlungen, die zusammen hätten abgemahnt werden können, einzeln abgemahnt werden oder
  7. wegen einer Zuwiderhandlung, für die mehrere Zuwiderhandelnde verantwortlich sind, die Ansprüche gegen die Zuwiderhandelnden ohne sachlichen Grund nicht zusammen geltend gemacht werden.

(3) Im Fall der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen kann der Anspruchsgegner vom Anspruchsteller Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen fordern. Weitergehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.

 www.gesetze-im-internet.de/uwg_2004/__8c.html

Der 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm beurteilte die Abmahnung der Giffits GmbH in der mündlichen Verhandlung am 22. September 2022 als rechtsmissbräuchlich. Der Vorsitzende Richter des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm erläuterte in der mündlichen Verhandlung, dass eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen sei. Dies spreche hier dafür, dass das Vorgehen der Giffits GmbH rechtsmissbräuchlich sei.

 

Hauptargumente des Oberlandesgerichts Hamm

  1. Kurze gleichlaufende Fristen für Unterlassung und Abmahnkosten
    Die Giffits GmbH hatte der WER GmbH eine – einwöchige – Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bis zum 11. Januar 2021 gesetzt. In der von dem Anwalt der Giffits GmbH vorformulierten Unterlassungserklärung war zugleich die Verpflichtung zur Zahlung von 2.293,25 Euro Abmahnkosten enthalten.

Dies spricht nach Einschätzung des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm für einen Rechtsmissbrauch. Problematisch sei der Gleichlauf der Fristen für die Abgabe der Unterlassungserklärung und Anerkennung der Abmahnkosten. Unter Umständen seien im Wettbewerbsrecht auch kurze Fristen zulässig. Nicht nachvollziehbar und ein Indiz für Rechtsmissbrauch sei es aber, wenn ein Abmahner verlange, dass innerhalb der kurzen Frist – wie hier innerhalb einer Woche – nicht nur eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben sei, sondern auch ein Verpflichtung zur Erstattung die Abmahnkosten übernommen werden solle.

  1. Zeitpunkt der Abmahnungen
    Nachdem der Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V. (GWW) am 14. Dezember 2020 an seine Mitglieder einen Newsletter versendet hatte und darin auf die Giffits-Abmahnwelle und die Notwendigkeit einer Händlerzertifizierung hingewiesen hatte, hätte die Giffits GmbH zunächst abwarten können, ob dieser Hinweis von den Händlern umgesetzt werde. Stattdessen habe die Giffits GmbH allein am 18. Dezember 2020 acht weitere Abmahnungen versendet. Dies erwecke den Eindruck, als sei es der Giffits GmbH vorrangig darum gegangen, weitere Händler abzumahnen. Der Versand von acht Abmahnungen nur vier Tage nach dem Newsletter des GWW, würde den Eindruck erwecken, als habe die Giffits GmbH noch möglich viele Abmahnungen versenden wollen.
  1. Offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe
    Auch die vorgeschlagene Vertragsstrafe in Höhe von 7.500 sei zu hoch. Eine vorgeschlagene Vertragsstrafe müsse immer in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu dem Vorwurf stehen. Die geforderten Vertragsstrafe von 7.500 für jeden Verstoß stehe in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu dem Vorwurf. Dies gelte umso mehr, als die Giffits GmbH in der von ihr vorgeschlagenen Unterlassungserklärung die Formulierung „unter Ausschluss der Handlungseinheit“ vorgesehen hatte.
  1. Unangemessen hoher Gegenstandswert
    Ein Gegenstandswert von 75.000 Euro, den die Giffits GmbH der Abmahnung zugrunde gelegt hatte, sei deutlich überhöht. Dies sei nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG ein Indiz für Rechtsmissbrauch. Der Gegenstandswert stehe in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zum Umsatz der Giffits GmbH oder zu dem erhobenen Vorwurf der fehlenden Händlerzertifizierung.
  1. Verzicht auf Weiterverfolgung des Unterlassungsanspruchs in einem Parallelfall
    Die Giffits GmbH hatte in einem Parallelfall, in dem das abgemahnte Unternehmen keine Unterlassungserklärung abgegeben, sondern lediglich einen Geldbetrag gezahlt hatte, davon abgesehen, eine Klage einzureichen. Dies wertete das Oberlandesgericht Hamm als Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Ein solches Indiz liege vor, wenn der Abmahner gegenüber einem Abgemahnten gegen Zahlung eines Geldbetrages auf die weitere Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs verzichte. Damit werde deutlich, dass es dem Abmahner eigentlich nur um die Abmahnkosten gegangen sei.
  1. Forderung eines pauschalen Schadensersatzes in Höhe von 5.000 Euro in Parallelfällen
    Auch die Forderung eines pauschalen Schadensersatzes von 5.000 Euro in Parallelfällen sei ein Indiz für den Rechtsmissbrauch. Die Giffits GmbH hatte von einem Händler einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 5.000 Euro für die Abgeltung von Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen gefordert. Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts meinte, es sei nicht erkennbar, wie der Giffits GmbH ein Schaden entstanden sein sollte. Die geforderten 5.000 Euro ständen auch in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu dem von der Giffits GmbH selbst vorgetragenen Jahresumsatz der Giffits GmbH mit Bioartikeln in Höhe von nur 70.000 Euro. Die Forderung sei unbegründet. Ein solches Vorgehen sei auch unüblich.

    Die von Giffits vorgebrachte Argumentation, ein Teil des Umsatzes der Händler, die den Handel mit Bioartikeln aufgeben würden, könnte bei der Giffits GmbH landen, überzeugte das Oberlandesgericht Hamm nicht. Es fehle bereits erkennbar an der Ursächlichkeit. Schon aufgrund der Vielzahl der Online-Händler sei ein solcher Kausalzusammenhang nicht erkennbar.

  1. Versand von fehlerhaften Rechnungen und fehlende Information über Parallelfälle
    Als weiteres Indiz für den Rechtsmissbrauch bewertete das OLG Hamm den Umstand, dass Giffits GmbH an die Abgemahnten Rechnungen verschicken ließ und dabei nicht darauf hinwies, dass die einzelnen Abmahnungen Teil eine Abmahnwelle seien. Aus Sicht des OLG Hamm seien die verschiedenen Abmahnungen eine einheitliche Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz). Diese hätte von der Giffits GmbH berücksichtigt werden müssen.

    Die WER GmbH sah in dem Versand der Rechnungen in den Parallelfällen einen Verstoß gegen § 15 Abs. 2 RVG der folgenden Wortlaut hat:

Die Giffits GmbH hatte am 5. und 6. Juli 2021 eine Vielzahl von Rechnungen an abgemahnte Unternehmen versenden lassen, ohne dabei § 15 Abs. 2 RVG anzuwenden oder auch nur auf die Parallelfälle hinzuweisen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Giffits GmbH allerdings schon eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 12. Mai 2021 vor, der auf die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 RVG hingewiesen hatte. Spätestens seit der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 12. Mai 2021 hätte der Giffits GmbH und ihrem Anwalt klar sein müssen, dass sie nicht jede Abmahnung als einzelne Angelegenheit in Rechnung stellen durften.

Die Giffits GmbH muss nun die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen.

Die WER GmbH wurde vor dem Oberlandesgericht Hamm von Rechtsanwalt Dr. Marcus v. Welser von der Kanzlei Vossius & Partner Patentanwälte Rechtsanwälte mbB vertreten.

Dr. Marcus v. Welser hatte zuvor bereits die Crimex GmbH in einem Musterverfahren erfolgreich vor dem Landgericht Osnabrück und dem Oberlandesgericht Oldenburg vertreten.

Andere Gerichte – beispielsweise das Oberlandesgericht Bamberg und das Oberlandesgericht Frankfurt – hatten demgegenüber in einstweiligen Verfügungsverfahren ohne mündliche Verhandlung der Abmahnerin Recht gegeben. Die dort abgemahnten Unternehmen waren von anderen Kanzleien vertreten worden.